Bad Honnef – Die Pressemeldung der Bundestagsabgeordneten Nicole Westig, in der sie fordert, Impfungen für Erzieherinnen und Erzieher vorzuziehen, schlägt Wellen. Leserinnen und Leser unterstützen ihre Forderung und mahnen Lösungen an.
Westig beruft sich dabei auf eine unten veröffentlichte AOK-Studie, die bereits im Dezember 2020 publiziert wurde und in der festgestellt wird, dass Berufe in der Betreuung und Erziehung von Kindern von März bis Oktober 2020 am stärksten von Krankschreibungen im Zusammenhang mit Covid-19 betroffen waren.
Dafür, dass es überhaupt soweit kommen konnte, macht der familienpolitische Sprecher der SPD, Dennis Maelzer, laut Kölner Stadtanzeiger den NRW-Minister für Kinder und Familie, Joachim Stamp, mitverantwortlich: „Mit landeseinheitlichen Regelungen wäre das wohl nicht passiert. Die Leidtragenden sind die Eltern, die jetzt buchstäblich vor verschlossenen Türen stehen“, zitiert der KSA den SPD-Politiker. Ausgerechnet Stamp, der auch schonmal Bastelmasken an Kitas verschickte, ist Parteikollege von Nicole Westig.
Bis Ende November 2020 waren in NRW 1.613 Kitas von corona-bedingten Schließungen betroffen. Das ist mehr als jede siebte Kita in NRW. 665 waren ganz geschlossen, in 948 waren ein oder mehrere Gruppen in Quarantäne.
Bereits im Juni protestierte die Aegidienberger Erzieherin Eva Mockenhaupt vor dem Bad Honnefer Rathaus gegen den schlechten Schutz bei pädagogischem Kita-Personal im Zusammenhang mit Covid 19. Auf einem Transparent schrieb sie: „Ich bin Erzieherin und kein Versuchskaninchen.“ Die Corona-Regeln seien in ihren Augen fahrlässig und missachteten die Gesundheit aller Pädagoginnen und Pädagogen. Auch hätte sie sich mehr Unterstützung und Protest von den Trägern der Einrichtungen gewünscht.
Die wurden von der Landesregung ziemlich allein gelassen. Bis zum 14.2.2021 gilt: „Die Kindertagesbetreuungsangebote bleiben geöffnet. Der dringende Appell an Eltern, Kinder selbst zu betreuen, wird aufrechterhalten.“
Nach einem Covid-Ausbruch in Kölner Kitas kommentierte eine Leiterin die Situation: „Angesichts der Gefahrenlage ist das eine Unverschämtheit, Eltern einfach nur zu bitten, dies doch zu unterlassen. Mit dem Eiertanz muss spätestens jetzt Schluss sein.“
Um die Notwendigkeit einer Not-Betreuung sicherzustellen, verlangt der VFE Rhöndorf e.V von den Eltern, die ihre Kinder zur Kita bringen, eine eidesstattliche Erklärung. Prompt gab es in einem Einzelfall Ärger, es kam zur Kündigung von Betreuungsplätzen.
In einem Leserbrief begrüßt Christian Boettcher, VFE-Vorstandsmitglied, Westigs Vorstoß: „Gleichsam außer Frage steht, dass diese Beschäftigten einer Covid-Infektion insbesondere durch das Anhusten durch Kita-Kinder und infolge Schmierinfektionen durch kindstypische “Rotznasen” noch immer nicht ausreichend geschützt werden. Es reicht selbstredend nicht aus, die Erzieherinnen – anstatt sie ordentlich zu schützen – vermeintlich schmeichelnd als “Heldinnen” zu bezeichnen (O-Ton Minister Stamp) oder Ihnen einen paar mehr Infektions-Tests zusätzlich zu spendieren. All dies schützt nämlich nicht. Insbesondere diese Tests nicht, denn diese weisen eine Infektion erst dann nach, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist.“
In den Brunnen gefallen ist das Kind zwischenzeitlich in einer Bad Honnefer Kita. Sie musste zeitweise schließen, nachdem fünf Erzieherinnen an Covid 19 erkrankten.
Stamp will die Kitas weiterhin geöffnet lassen, will das Personal aber intensiver testen.
AOK-Studie
Berufe in der Betreuung und Erziehung von Kindern waren von März bis Oktober 2020 am stärksten von Krankschreibungen im Zusammenhang mit Covid-19 betroffen. Eine Analyse der Arbeitsunfähigkeitsdaten der AOK-Mitglieder durch das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) zeigt, dass in diesem Zeitraum 2.672 je 100.000 Beschäftigte in dieser Berufsgruppe krankheitsbedingt im Zusammenhang mit Covid-19 an ihrem Arbeitsplatz gefehlt haben. Damit liegt deren Betroffenheit mehr als das 2,2-fache über dem Durchschnittswert von 1.183 Betroffenen je 100.000 AOK-versicherte Beschäftigte. Auch Gesundheitsberufe waren überdurchschnittlich oft im Zusammenhang mit Covid-19 arbeitsunfähig, stehen aber nicht mehr an der Spitze des Rankings. In einer früheren WIdO-Auswertung für die erste Phase der Pandemie von März bis Mai 2020 belegten Berufe in der Alten- und Krankenpflege die Spitzenplätze, jetzt finden sie sich im Ranking auf Platz 7 und 8. Medizinische Fachangestellte sind nach der aktuellen Auswertung bezogen auf den Zeitraum von März bis Oktober 2020 noch stärker betroffen und stehen mit 2.469 Erkrankten je 100.000 Beschäftigten auf Platz 2 der Liste. „Beschäftigtengruppen, die in der Pandemie weiter am Arbeitsplatz präsent sein mussten und nicht ins Homeoffice gehen konnten, sind im bisherigen Verlauf der Pandemie stärker von Covid-19 betroffen. Dies sind insbesondere Berufe mit direktem Kontakt zu anderen Menschen“, sagt Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des WIdO.
Insgesamt erhielten von den 13,2 Millionen AOK-versicherten Erwerbstätigen von März bis Oktober 2020 circa 155.610 Beschäftigte von einem Arzt eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Zusammenhang mit einer Covid-19-Diagnose. Das entspricht 1.183 je 100.000 AOK-versicherte Beschäftigte. Dabei waren Frauen häufiger betroffen (1.378 je 100.000 AOK-versicherte Beschäftigte) als Männer (1.031 je 100.000 AOK-versicherte Beschäftigte). Krankmeldungen mit Bezug zu Covid-19 waren unter den jüngeren Beschäftigten bis zu 19 Jahren am häufigsten (1.773 je 100.000 AOK-versicherte Beschäftigte) und bei den über 60-jährigen Erwerbstätigen am seltensten (900 je 100.000 AOK-versicherte Beschäftigte) zu beobachten. Bei mehr als der Hälfte der betroffenen Beschäftigten wurde der gesicherte Nachweis der Infektion auf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dokumentiert (53,9 Prozent). Bei den übrigen Fällen wurde auf den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ein klinischer Covid-19-Verdacht ohne Virusnachweis dokumentiert.
Tätigkeiten im Freien seltener von Covid-19 betroffen
Neben Berufen in der Kinderbetreuung und -erziehung waren insbesondere Medizinische Fachangestellte und Ergotherapeuten von März bis Oktober 2020 stark von Fehlzeiten im Zusammenhang mit Covid-19 betroffen (Abbildung 1). „Im Vergleich zu unserer ersten Auswertung für die Frühphase der Pandemie sind die erzieherischen Berufe nun in der Gesamtschau für März bis Oktober deutlich stärker betroffen. Offenbar wirkt sich hier die Entscheidung der Politik aus, Schulen und Kitas – anders als in der ersten Lockdown-Phase – offen zu halten“, sagt Schröder. Die niedrigsten krankheitsbedingten Fehlzeiten im Zusammenhang mit Covid-19 zeigten sich bei den Berufen in der Landwirtschaft (274 Betroffene je 100.000 Beschäftigte) und in der Nutztierhaltung (340 Betroffene je 100.000 Beschäftigte). Demnach sind Fehlzeiten im Zusammenhang mit Covid-19 bei Berufen wahrscheinlicher, in denen die Beschäftigten trotz Lockdown mit einer Vielzahl von Menschen in Kontakt kommen. Tätigkeiten, die eher in der freien Natur ausgeübt werden, waren dagegen mit einem niedrigeren Infektionsrisiko verbunden. „Berufe mit häufigen zwischenmenschlichen Kontakten, die aufgrund der präventiven Maßnahmen zu einer Reduzierung der Kontakte gezwungen waren oder ihren Beruf nicht ausüben konnten, hatten ein deutlich reduziertes Risiko zu erkranken“, so Schröder. Hierzu zählen beispielsweise Berufe in der Gastronomie (571 Betroffene je 100.000 Beschäftigte) oder im Kosmetikgewerbe (605 Betroffene je 100.000 Beschäftigte).
Im Oktober gab es die meisten Krankmeldungen im Zusammenhang mit Covid-19
Die wellenartige Prävalenz von Covid-19-Infektionen in der Bevölkerung spiegelt sich in den krankheitsbedingten Fehlzeiten der AOK-versicherten Beschäftigten wider (Abbildung 2). Im April 2020 kam es mit 330 Erkrankten je 100.000 Beschäftigte zu einem ersten Höhepunkt an Krankschreibungen im Zusammenhang mit Covid-19. Von Mai bis August 2020 zeigte sich dann ein deutlicher Rückgang, der jedoch ab September in die sogenannte „zweite Welle“ überging. Im Oktober 2020 wurde mit 417 Erkrankten je 100.000 Beschäftigte die bislang höchste Anzahl an Krankschreibungen im Zusammenhang mit Covid-19 erreicht.
Regionale Hotspots spiegeln sich auch in den AU-Daten wider
Im Oktober 2020 lässt die regionale Verteilung der Krankschreibungen im Zusammenhang mit Covid-19 eine wesentlich geringere Belastung des Nordostens erkennen – mit Ausnahme von Berlin und vielen Regionen Sachsens (siehe Abbildung 3). Besonders von der Ausbreitung des Virus betroffene Regionen waren im Oktober die bayerischen Landkreise Weiden in der Oberpfalz und Rosenheim (siehe Abbildung 3). „Die regionalen Hotspots, die in den amtlichen tagesaktuellen Meldungen zum Infektionsgeschehen genannt werden, sind auch im Arbeitsunfähigkeitsgeschehen zu erkennen. Das betrifft beispielsweise schon im Oktober 2020 zahlreiche Regionen Sachsens. Kurzfristig bleibt abzuwarten, ob die familiären Kontakte in der Weihnachtszeit und über den Jahreswechsel das Infektionsgeschehen in den Betrieben im neuen Jahr beeinflussen werden. Es ist zu hoffen, dass die beschlossenen Kontaktbeschränkungen zum gewünschten Erfolg führen und die Betriebe in Deutschland weiterhin auf ihre gesunden Beschäftigten setzen können“, so Schröder.