Bad Honnef – In der Session 1998/99 erlebte Berlin einen jecken Kulturwandel. Der Bonner Harald Grunert wurde erster rheinischer Karnevalsprinz an der Spree. Seine Prinzessin war Martina I. 1999 ging auch als das Jahr in die Geschichtsbücher ein, in dem der Bundestag von Bonn nach Berlin umzog. Für viele ein völlig überflüssiger Standortwechsel. Trotzdem: Am 4. Oktober fand die erste Sitzung des Deutschen Bundestages im umgebauten Reichstagsgebäude statt.
Wissend, dass Bonn seinen Status als Bundeshauptstadt abtreten muss, verlegten die damaligen Bonner Kulturgastronomen Friedel Drautzburg und Harald Grunert ihren Geschäftssitz vom Rhein an die Spree und richteten am Schiffbauerdamm 8 ihr Lokal StäV ein. Übersetzt: Ständige Vertretung. Die StäV der damaligen Bundesrepublik Deutschland in Ost-Berlin war so etwas wie eine Botschaft, durfte aber aus politischen Gründen nicht so bezeichnet werden. Mit der neuen Kneipe wollten die Rheinländer ihren Genossen aus der alten Heimat eine Ersatzheimat anbieten. So kam es! Der Betrieb wurde schnell ein wichtiger Anlaufpunkt für viele Politiker aus Westdeutschland, später aus der ganzen Republik. Schmidt, Merkel, Blüm, Scharping und Co. waren beispielsweise Stammgäste. Viele Dichter und Denker saßen im Laufe der Zeit am Tresen der Location am Schiffbauerdamm, ebenso Künstler und andere Promis. Wer etwas auf sich hielt im hippen Berlin, der war auch Gast im StäV.
Die Szene hat sich mittlerweile verändert. Politiker haben auch andere „Stammquartiere“ gefunden und meiden sowieso mehr die öffentlichen Räume, um dort ihre Freizeit zu verbringen. Dennoch ist es schwierig, einen freien Platz im Stammhaus der StäV-Kommune zu ergattern.
Grunert und Drautzburg haben ihre aktive Zeit als StäV-Promiwirte 2017 beendet. Die Marke haben sie behalten und sind nun Franchisegeber. Die Lokale gibt es an verschiedenen Standorten in Deutschland, so in Bremen und Hannover, im Köln-Bonner Flughafen und im Willy-Brandt-Flughafen Berlin.
Während der 85-jährige Drautzburg gerade wieder geheiratet hat und sich nur noch in der Rolle als Privatier sieht, gründet Grunert hin und wieder mit Partnern Nischenrestaurants. Ferner entdeckte er aber auch seine Liebe als Aussteller historischer Fotografien. Da kann er aus dem Vollen schöpfen. Denn in den StäV-Lokalen hängen Hunderte davon oder sind an sicheren Orten gelagert. Teilweise sind es Geschenke, viele wurden gekauft.
Aus dem großen Fundus hat Grunert über 100 Exemplare zu einer Ausstellung zusammengetragen. Die erste Vernissage fand am Freitag im Bonner Gustav Stresemann-Haus statt. Zu sehen sind hauptsächlich zeitgenössische Bilddokumente aus den Nachkriegsjahren bis zum Hauptstadtumzug: Adenauer mit de Gaulle, Brand mit Breschnew, Mao und Helmut Schmidt, Kohl, Merkel, Lafontaine … Darunter Persönlichkeiten wie Wolfgang Clement, die ihre Heimat in Bad Honnef hatten, haben oder später dort fanden.
Die Stresemann Stiftung nutzt die Ausstellung, um daran zu erinnern, dass sich im nächsten Jahr der Umzug der Regierung von Bonn nach Berlin zum 25. Mal jährt. Zwei Rhöndorfer waren schon dort: Wirt und Wirtin von Becker’s Wohnzimmer im Rhöndorfer Fährhaus. Ein paar Fotos haben sie gleich gekauft. Die sind jetzt im Fährhaus zu bewundern.
Und vielleicht ist es ja eine gute Idee, die Ausstellung im Februar ins Konrad-Adenauer-Haus zu holen. Und bei Beckers, das mittlerweile das neue Stammquartier des Spielmannszugs TV Eiche und der Stadtsoldaten ist, treffen sich dann der frühere Berliner Prinz Karneval und Prinzessin Anna I. auf ein Kölsch.