Bad Honnef – Die Erfinder des Kiezkaufhauses in Wiesbaden geben auf. Jedenfalls vorerst. Nach vier Jahren wollen sie eine „Zäsur überlegen“, wollen dann sehen, wie es weitergeht.
Ihr Konzept: Lokalen Onlinehandel mit umweltfreundlicher Lieferung verknüpfen. Charmante Idee, aber unerwartet naiv. Konkurrenten wie Amazon, ebay, hood.de, rakuten stehen im selben Wettbewerb. Bei den Plattformgründern handelt es sich immerhin um eine renommierte deutsche Agentur: Scholz und Volkmer.
Gefangen im Kiez ist auch die Stadt Bad Honnef. Sie wollte in der 25.000 Einwohner-Stadt an der Grenze zu Rheinland-Pfalz auf digitalen Vorreiter im Rhein-Sieg-Kreis machen. Gute Idee, nur bislang erschreckend erfolglos. Es besteht durchaus die Gefahr, dass das Nizza am Rhein, was seine Online-Kompetenz betrifft, kläglich scheitert, wenn es nicht bereits gescheitert ist.
Um Erfolg oder Misserfolg und die Zukunftsaussichten besser beurteilen zu können, wünschte die SPD-Fraktion von der Stadt die Vorlage handfester Daten zum Kiezkaufhaus. Ihr Pressesprecher Klaus Munk: “Keinerlei Zahlen sind vorgelegt worden, nur blumige Aussagen wie „Ziele zufriedenstellend erreicht“, „Händler stehen in den Startlöchern“, „tendenzieller Anstieg“, „positive Rückmeldungen“, „man muss langfristig denken“. – Nun ist klar, warum.
Kiezkaufhaus – Kaum Bestellungen
Mittlerweile gibt die Stadt nämlich in einer Verwaltungsvorlage zur nächsten Ratssitzung zu, dass das Kiezkaufhausangebot, das online verfügbar ist, kaum zu Bestellungen geführt habe, der Lieferservice hätte trotz reduzierter Liefergebühren nur sehr wenige Aufträge ausführen können. Wenn sich die Situation nicht verbessern würde, werde die Stadt den Lieferservice zum 30. Juni 2020 einstellen.
Trotzdem warb sie in einer Pressemeldung am Freitag mit einem neuen Mitglied und zwei möglichen neuen. Offensichtlich geht sie davon aus, dass sie bis Juni das schafft, was sie in zwei Jahren nicht erreicht hat: deutlich über 100 Teilnehmer zu akquirieren. Heute spricht sie allerdings von einer deutlich kleineren Zielmarke: von 20 Betrieben. Die sei im Wesentlichen erreicht worden, auch wenn mittlerweile einige Betriebe ihr stationäres Geschäft geschlossen hätten und aus dem Kiezkaufhaus ausgestiegen seien.
Weiter teilt sie mit, es sei nie das Ziel gewesen, weitgehende Verkäufe über die Plattform einzuleiten, sondern vielmehr die Innenstadt zu beleben, um Kundinnen und Kunden durch Sichtbarkeit in die Läden zu locken. In der Projektbeschreibung liest sich das anders. Dort steht: „Daher wurde eine Dachmarke entwickelt, daran anschließend – gefordert – wird eine übergreifende Plattform für eine Vielzahl von Angeboten aufgebaut (Stadtentwicklung, Tourismus, Kultur und Veranstaltungen usw.) und im Bereich Einzelhandel ein Einkaufsportal angegliedert. Damit ist das Ziel verbunden, den stationären Handel – auch in den Stadtteilen – zu stärken und damit die Zusammenarbeit untereinander durch ein neues Vertriebskonzept zu stärken.“
Stellt sich die Frage, warum sich die Stadt dann überhaupt auf die Produktplattform „Kiezkaufhaus“ eingelassen hat. Denn eigentlich liegt das Problem nur in der Integration dieser digitalen Shoppingmeile, um deren Erhalt die Stadt offensichtlich weiterkämpft. Sie macht für die Bad Honnefer Kleinstverhältnisse alles kompliziert und teuer, was viele Geschäftsleute von Beginn an abschreckte. Zu Recht? Klar ist, dass die teilnehmenden Unternehmen nach Ablauf der Förderung alles selber machen müssen. Um diesen Aufwand in den Griff zu bekommen, benötigen sie Personal oder zumindest professionelle Unterstützung. Für viele City-Einzelhändler ist das kaum zu stemmen.
Es hätte besser laufen können: Bei einem Portal mit attraktiven, nützlichen Funktionen, wären der Stadt vielleicht einige digitale Herzen zugeflogen. Modellhaft hätte man auf ehrenamtlicher Basis eventuell auch noch im sportbegeisterten Bad Honnef einen umweltfreundlichen Hol- und Bringdienst auf die Beine stellen können. Stattdessen hat Bad Honnef nun ein Kiezkaufhaus-Problem und im Rathausfoyer ein unausgelastetes Cargo-Bike zur Ansicht.
„Vollumfänglich funktionsfähig“
Im Internet sichtbarer werden konnten die Bad Honnefer Unternehmen schon vor Beginn des Projekts Kiezkaufhaus. Damals gab es mit badhonnef-hats.de eine fertige Plattform, die genau dieses Ziel verfolgte und der Verwaltung vorgestellt wurde. Sinnigerweise ließ Bad Honnef sogar diesen Namen bei der Einreichung des Förderantrags eintragen. Heute heißt Bad Honnef hats honnefer-veedel.de und bietet lokalen Unternehmen ohne großen Aufwand die Möglichkeit, im Internet gefunden zu werden. Zurzeit nutzen 33 Teilnehmer dieses Angebot. Das übrigens nichts kostet. „Außer freiwillig“.
Was den vorläufigen Abgesang der Online-Mutter in Wiesbaden betrifft, ist nicht klar, ob und wenn ja wie sich diese Entwicklung auf das Bad Honnefer Kiezhaus auswirkt. So veröffentlichte die Verwaltung zwar auf Facebook den Hinweis: “Entgegen anders lautenden Meldungen und falschen Darstellungen ist das Kiezkaufhaus Bad Honnef vollumfänglich funktionsfähig und Bestandteil der Innenstadtentwicklung”, ließ aber eine entsprechende Anfrage von Honnef heute bis jetzt unbeantwortet. Eine Pressemeldung gibt es bislang nicht. Vielleicht müssen Verträge eingehalten werden, die die Stadt zwingen, den Bad Honnefer Kiezkaufhaus-Shop weiterhin zu bedienen – wenngleich die Wiesbadener ihren bei knapp 280.000 Einwohnern dicht gemacht haben.
Aber selbst Bürgermeister Otto Neuhoff scheint nicht so richtig an den Erfolg seines Kiezkaufhauses zu glauben. Auf seiner persönlichen Pressekonferenz zur Kommunalwahl sagte er, dass das Projekt von vornherein auf 3 bis 5 Jahre ausgelegt war, „ob das nun fliegen wird, oder nicht, das können wir heute überhaupt nicht beurteilen“. Nach unternehmerischer Zuversicht klingt das nicht gerade. Oder die Zeitangaben haben andere Gründe.
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Fachleute warnten
Vor Bekanntwerden des Projekts Kiezkaufhaus in Bad Honnef wurde von Online-Fachleuten immer wieder vor der Umsetzung gewarnt. Die Gründe liegen auf der Hand: Bei 25.000 Einwohnern ist trotz hoher Kaufkraft die Anzahl der möglichen Online-Kunden stark begrenzt, die Bad Honnefer Geschäftswelt signalisierte von Beginn an wenig Interesse, eine fundierte Marktanalyse unter Einbeziehung der möglichen Konsumenten wurde nicht erhoben – sprich: niemand konnte wissen, ob ein digitales „Kiezkaufhaus“ überhaupt den Bedürfnissen der Konsumenten entsprechen würde. Und jeder Marketingmensch weiß: Wo kein Begehren, dort kein Geschäft.
Aber nicht nur die Bad Honnefer Entscheider haben sich nach bisherigem Stand krass verschätzt. Der Anbieter atalanda Wuppertal, der gleichfalls mit hohen Summen an Steuergeldern angeschoben wurde, hat auch nach acht Jahren den Durchbruch noch nicht geschafft. In Wuppertal (350.000 Einwohner) warten zurzeit ganze 64 Händler auf mehr Umsatz durch Onlinehandel. Mönchengladbach kooperiert seit 2015 mit ebay. Zunächst beteiligten sich 79 Händler, aktuell sind laut der Wirtschaftsförderung Mönchengladbach noch rd. 40 Händler aktiv. Insgesamt sei seit Projektstart mehr als 7 Mio. Euro zusätzlicher Umsatz durch die Händler generiert worden. Allerdings machen dort auch unter anderem die Elektronik-Riesen Media Markt und Saturn mit.
Einer, der den Onlinehandel seit Jahren beobachtet, ist der Handelsexperte Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein. Er sagt laut heise online klipp und klar, der Versuch, durch lokale Online-Marktplätze die Innenstädte zu beleben, sei gescheitert, lokale Marktplätze funktionierten im Internet einfach nicht. Es fehle ihnen an allem, was das Einkaufen im Internet attraktiv macht, von einer großen Auswahl bis zu den günstigen Preisen. Stattdessen werde auf das Prinzip Hoffnung oder vielleicht eher noch auf das Mitleid der Verbraucher gesetzt. „Aber das war im Handel noch nie ein Rezept, das funktioniert.“, zitiert heise online Heinemann.
Weiter berichtet das Onlineportal von einer aktuellen Marktanalyse des Kölner Handelsforschungsinstituts EHI, die zeige, dass die lokalen Marktplätze im Online-Handel bislang keine nennenswerte Rolle spielten. Kein einziger von ihnen hätte es ins EHI-Ranking der 1000 größten Online-Händler geschafft. Auch weitere Fachorgane analysieren lokale Onlinemarktplätze negativ.
Spätestens, als DHL seinen lokalen Marktplatz AllyouneedCity in Bonn beerdigte, hätten die Alarmglocken läuten sollen. Und die schweizerische Post hat ihren auf der Technik von atalanda fußenden lokalen Onlinemarktplatz auch eingestellt. DHL nannte übrigens laut NGIN mobilty als Begründung, der Aufwand für Werbung um Händler auf der einen und Kunden auf der anderen Seite, der nötig sei, um das Angebot zu skalieren, sei zu hoch. Die Geschäftsleute hätten mit DHL gerne weitergemacht.
Was wissen Politiker über Online-Marketing?
Zugute halten muss man den Kiezhausmachern, dass sie sich bei ihrem Projekt Mühe gegeben haben. Und natürlich müssen sich auch Unternehmen und Kommunen online entwickeln. Damit haben so manche Geschäftsleute ihre Schwierigkeiten. Ohne Erfahrung tappt man jedoch schnell in die digitale Falle: Online ist aufwändig, kompliziert und verlangt hochspezialisiertes Fachwissen. Das hat vermutlich bis auf Annette Stegger (SPD), die mit ihrem Mann das Portal meine-stadt.de entwickelt hat, im Rat niemand. Trotzdem stimmen Politiker über solche Projekte ab. Wie ist das möglich?
Wie naiv sich Kommunen bei der Umwandlung ihrer Städte oftmals verhalten, beschreibt beispielsweise Frank Rehme, Vordenker im Bereich Innovation und Zukunftsgestaltung, so: „Förderprogramme der Politik unterstützen zudem oft Projekte, deren Lebensdauer bereits in der Konzeptphase auf das Ende der Maßnahme terminiert werden können.“ Auch für ihn ist klar, dass die Digitalisierung zur städtischen Infrastruktur wie Straßenbeleuchtung oder Kanalisation dazugehört. Wer das leugnet, sollte Platz machen für andere. In Bad Honnef fängt man mit einem Kiezkaufhaus an, für das eine Stelle zur Verfügung steht. – Ob kleine Kommunen wie Bad Honnef überhaupt solchen Ansprüchen gerecht werden können, wie sie Rehme fordert, ist mehr als fraglich. Das Thema sollte mindestens auf Kreisebene diskutiert und entsprechende Projekte sollten dort umgesetzt werden.
Eine lokale Lösung könnte helfen
Die Marke Kiezkaufhaus läuft Gefahr, nicht nur in Wiesbaden, sondern auch in Bad Honnef zu verbrennen. Schwer zu glauben, dass sie dem Honnefer Einzelhandel helfen kann. Da besteht eher die Gefahr, dass die Dachmarke der Stadt mit beschädigt wird.
Ein bisschen helfen könnte jetzt noch eine Abkehr von der Bad Honnefer Kirchturmpolitik, hin zur Öffnung für die lokale Basis. Vermutlich war es sowieso ein Kardinalfehler, sich bei einem Projekt zur Förderung des lokalen Onlinehandels nicht auch mit lokalen Web-Agenturen zusammenzuschließen. Widersprüchlicher geht es eigentlich kaum.
Dabei dürfte es genügend junge digitale Unternehmerinnen und Unternehmer in der Stadt geben, die vermutlich liebend gerne den „Digitalen und stationären Einzelhandel zusammendenken“ würden – wenn man sie denn nur ließe.
Lässt man sie nicht, liegt es an der Politik, weiteren Schaden abzuwenden, damit Bad Honnef die Chance erhält, sich glaubwürdig als digitale Instanz im Rhein-Sieg-Kreis zu positionieren. Außerdem zahlt der Steuerzahler die Zeche, und in Bad Honnef per se nicht zu knapp. Zweithöchster Grundsteuer B-Zahler im Kreis zu sein, hat mit Lebensfreude nichts zu tun.
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