Rhein-Sieg-Kreis – Der Lew Kopelew Preis wurde in diesem Jahr ausnahmsweise und pandemiebedingt für zwei Jahre – die Jahre 2021 und 2020 – verliehen. Ebenfalls pandemiebedingt fand die Preisverleihung online im Käthe Kollwitz Museum der Kreissparkasse Köln statt – und wurde nicht wie gewohnt mit vielen Gästen in der Kassenhalle der Kreissparkasse in Köln am Neumarkt festlich begangen.
Im Rahmen der kleinen Veranstaltung wurden die belarussischen Frauen Swetlana Tichanowskaja, Maria Kolesnikowa und Veronika Zepkalo mit dem Lew-Kopelew-Preis 2021 ausgezeichnet. Die russische Medien- und Menschenrechtsorganisation „OVD-Info“ und zugleich der russische Historiker Jurij Dmitriev erhielten den Lew-Kopelew-Preis 2020.
„Alle Preisträger stehen ganz in der Tradition des 1997 in Köln verstorbenen Humanisten und Schriftstellers Lew Kopelew, der 1981 als unerwünschte Persönlichkeit von den damals sowjetischen Behörden zwangsausgebürgert wurde“, sagte Thomas Roth, der Vorsitzende des Lew Kopelew Forums bei der Begrüßung. „Der Lew-Kopelew-Preis für Frieden und Menschenrechte, den wir alljährlich verleihen, hat sich im Laufe der Jahre ein hohes Ansehen erworben. Mir scheint, das liegt nicht zuletzt daran, dass die erwählten Preisträger in ihrer Vielfalt und zugleich auch in ihrer Unterschiedlichkeit den offenen und der Menschlichkeit gewidmeten Blick von Lew Kopelew repräsentieren.“
Mit Thomas Roth zusammen begrüßte Alexander Wüerst, stellvertretender Vorsitzender des Lew Kopelew Forums und Vorstandsvorsitzende der Kreissparkasse Köln:
„Auch in diesem Jahr ehren wir wieder bemerkenswerte Persönlichkeiten, die mit viel Einsatz und Mut auf Missstände aufmerksam machen. Unsere Region und ebenso die Kreissparkasse Köln stehen für Weltoffenheit und Toleranz. Und das sind die Werte, für die gleichfalls Lew Kopelew einstand. Diese Werte gilt es über die Auszeichnung hinaus weiterzutragen.“
Thomas Roth stellte die Preisträger für die Jahre 2021 und 2020 vor und begründete die Auswahl der Preisträger.
Die Laudatio hielt der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalens, Armin Laschet. Er hob hervor, dass es für die Verwirklichung von Menschen¬rechten und Demokratie das tatkräftige Engagement von Bürgerinnen und Bürgern brauche. „Die Trägerinnen und Träger der Lew-Kopelew-Preise 2020 und 2021 leisten in dieser Hinsicht Beeindruckendes: Swetlana Tichanowskaja, Maria Kolesnikowa und Veronika Zepkalo haben mit ihrer Entschlossenheit und ihrem Mut eine demokratische Bewegung ins Rollen gebracht, die ganz Belarus erfasst hat. Die Medienorganisation OVD-Info trägt in Russland in unzähligen Fällen zur Aufklärung politisch motivierter Verhaftungen bei. Auch Jurij Dmitriev schafft mit seiner Arbeit eine wichtige Grundlage für eine demokratische Entwicklung seines Landes“, sagte Armin Laschet.
„Das Wirken von Lew Kopelew kann ein Vorbild sein, wenn es um die heutigen Beziehungen von Deutschland zu Russland geht. Dieses Vorbild bedeutet für mich: Standhaftigkeit und Prinzipientreue bei der Einhaltung von Werten und Regeln und zugleich ständiges Bemühen um Dialog und ein friedliches Miteinander“, lautete sein abschließender Appell.
Die Preisträger 2021
Swetlana Tichanowskaja, Maria Kolesnikowa und Veronika Zepkalo wurden zu Gesichtern der friedlich und gewaltfrei protestierenden Bevölkerung in Belarus, indem sie sich persönlich wie politisch gemeinsam mit großem Mut für echte Demokratie und gegen die offensichtlich manipulierten Präsidentschaftswahlen in Belarus einsetzen. Die massenhaften Proteste gegen die letzten Wahlen lässt der autokratische Präsident Lukaschenko seit August 2020 mit äußerster Brutalität niederschlagen. Swetlana Tichanowskaja und Veronika Zepkalo mussten vor staatlicher Verfolgung ins Exil ausweichen. Maria Kolesnikowa, die eine Zeit lang als klassische Musikerin in Stuttgart gelehrt und gearbeitet hat, wird bis heute in einem belarussischen Gefängnis festgehalten.
Dennoch ist der Widerstand der drei Frauen, der von öffentlichen Protesten getragen wird, persönlich ungebrochen. Swetlana Tichanowskaja, die ebenfalls vom Europäischen Parlament unterstützt und ermutigt wird, kämpft als ehemalige Präsidentschaftskandidatin gemeinsam mit den anderen Frauen unerschrocken von ihrem litauischen Exil aus für Demokratie sowie freie und faire Neuwahlen in ihrer Heimat. Ihr Mann sitzt in Belarus in Haft.
„Diese drei Frauen zeichnen wir heute mit dem „Lew-Kopelew-Preis für Frieden und Menschenrechte 2021“ aus. Sie haben sich bis jetzt von der Gewalt nicht einschüchtern lassen und sind damit zu Symbolfiguren der belarussischen Protestbewegung geworden“, begründete Thomas Roth die Auszeichnung.
Über Internet schaltete sich Swetlana Tichanowskaja, die derzeit im Exil in Litauen lebt, live in die Preisverleihung ein und appellierte an Europa, seine Rolle als Mediator wahrzunehmen und die Regierung in Belarus an den Verhandlungstisch zurückzuholen. Die Mitstreiterin von Swetlana Tichanowskaja, Veronika Zepkalo, widmete via vorab aufgezeichneter Videobotschaft den Preis allen Belarussen, vor allem den belarussischen Frauen, die für demokratische Rechte in Belarus kämpfen und von denen einige bis heute in belarussischen Gefängnissen festgehalten werden – so wie auch die dritte Mitstreiterin und Preisträgerin Maria Kolesnikowa. Im Namen von Maria Kolesnikowa sprach die im Exil lebende Schwester Tatjana Chomitsch die Dankesworte.
Die Preisträger 2020
OVD-Info
Nicht nur in Belarus, sondern auch in Russland gerät die Opposition seit Jahren unter immer stärkeren Druck, was man nicht nur an dem brutalen und völlig willkürlichen Umgang mit dem Oppositionellen Alexei Navalny sehen kann. Kritische Nichtregierungsorganisationen und neuerdings auch Personen werden gezwungen, sich als „ausländische Agenten“ zu bezeichnen, wenn sie Spendengelder aus dem Ausland bekommen. Eine Bezeichnung, die sie in den Augen der Bevölkerung denunzieren soll. Willkürliche Verhaftungen bei Demonstrationen und eine willfährige Justiz sollen den Menschen Angst davor machen, auf die Straße zu gehen. Um diese Missstände öffentlich zu machen, haben vor rund zehn Jahren der russische Journalist Grigori Ochotin und der Informatiker Daniil Beilinson das Medien- und Menschenrechtsprojekt OVD-Info gegründet, das sich vor allem über Crowdfunding, also über private Spenden, finanziert und in dem besonders viele junge Leute arbeiten. OVD setzt sich für die Aufklärung von willkürlichen Verhaftungen ein und unterstützt die Betroffenen und ihre Familien mit kostenlosem rechtlichem Beistand. „Trotz staatlicher Behinderung sammelt OVD-Info zuverlässige Informationen über Protestaktionen und stellt sie zeitnah im Internet zur Verfügung. So ist OVD-Info mittlerweile zu einem russlandweiten nichtstaatlichen demokratischen Netzwerk geworden und gehört nicht zuletzt im Ausland bei der Berichterstattung zu den meistgenutzten Quellen. Für all das wollen wir sie heute mit dem Lew-Kopelew-Preis für Frieden und Menschenrechte 2020 auszeichnen“, so Thomas Roth in seiner Würdigung.
Auch Grigorij Ochotin und Daniil Bejlinson bedankten sich per vorab aufgezeichneter Videobotschaft. Die Preisträger erklärten, dass sie sich als Brücke zwischen den Aktivisten und den Massenmedien verstehen und sie mit ihrer Arbeit ein Zeichen für eine entwickelte Zivilgesellschaft setzen wollen. Der Lew-Kopelew-Preis sei für sie eine große Ehre. Diese Anerkennung gelte dem gesamten Team, den tausenden freiwilligen Helfern, den zehntausenden Unterstützern und Spendern.
Jurij Dmitriev
Neben der Medien- und Menschenrechtsorganisation OVD-Info wurde für das Jahr 2020
der russische Historiker Jurij Dmitriev mit dem Lew Kopelew Preis ausgezeichnet. Lange herrschte Schweigen in der Sowjetunion und damit auch in Russland über den sogenannten „Großen Terror“ Stalins und seiner Schergen. Der „Große Terror“, soviel weiß man heute, hat alleine in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre mindestens 700.000 Menschen das Leben gekostet. Jurij Dmitriev, der zu „Memorial“, der international bekannten russischen NGO für Menschenrechte und historische Aufklärung, gehört, erforscht seit Jahrzehnten in der russischen Provinz Karelien Spuren dieses Terrors und der staatlich organisierten Massenmorde. Er fand in den Wäldern Kareliens zum Beispiel eine Erschießungsstätte bei dem Dorf Sandarmoch. Rund 9.000 Häftlinge aus vielen Nationen, darunter auch Russlanddeutsche, wurden damals unter Geheimhaltung dort erschossen. Der Historiker Dmitriev konnte sogar die Namen der Ermordeten ermitteln und stellte sie der Öffentlichkeit und damit auch den Nachkommen der Opfer zur Verfügung. Doch das ist ihm nicht gut bekommen. In einer Zeit, in der Stalin besonders von den Staatsorganen heute wieder mehr als großer Führer inszeniert wird, scheint Dmitrievs Arbeit einflussreiche Kreise zu stören. Er wurde nach einem unbegründeten Urteil zu 13 Jahren im strengen Vollzug verurteilt.
„Jurij Dmitriev wurde mit dem Lew-Kopelew-Preis 2020 geehrt, da er sich nicht mundtot machen lässt und sich unbeirrt dafür einsetzt, das Gedenken an den stalinistischen Terror aufrechtzuerhalten“, erläuterte Thomas Roth die Preisvergabe an Dmitriev.
Jurij Dmitrievs leibliche Tochter Katharina Klodt war bei ihrem Vater im Gefängnis. Er hat ihr als Reaktion und Dank für den Kopelew-Preis einige Zeilen aufgeschrieben, die sie via Video vorlas.
Ausstrahlung der Preisverleihungen 2020 und 2021
Die Vorstellung und Auszeichnung der Preisträger ist zu sehen ab dem 16. Mai 2021, 11:00 Uhr, auf der Website: www.kopelew2021.de
ahlen