Bad Honnef – Die Aufrufe zu Demonstrationen gegen rechts lassen nicht nach. Das ist gut so. Offensichtlich hat Deutschland Nachholbedarf bei der Bewertung der politischen Entwicklung im Land. Wie kann es sein, dass eine in Teilen rechtsextreme Partei wie die AfD zweittärkste Kraft im Land – in Ostdeutschland sogar stärkste – werden konnte und wo ein AfD-Mitglied, das als Faschist bezeichnet werden darf, bald Ministerpräsident werden könnte?
Doch wir brauchen nicht nach Ostdeutschland zu blicken, um festzustellen, dass überall in Deutschland die Gefahr besteht, dass noch mehr Menschen meinen, die Heilsbringer kommen aus der rechten Szene. Diesem Irrtum erlagen die Deutschen schon einmal. Offensichtlich haben die Folgen viele vergessen oder sie haben gar nicht erst erfahren, was seinerzeit geschah. Bildungslücke?
Nicht nur das Glück liegt manchmal nah, auch das Unglück. Im Siebengebirge und im Rhein-Sieg-Kreis gibt es seit langem ebenfalls eine muntere rechte Szene. Die positioniert sich für die Europawahl, die im Juni 2024 stattfindet. Auf Listenplatz 9 der AfD steht Irmhild Boßdorf. Sie kommt aus Königswinter. Heino Gröf hat zu ihr eine Meinung:
Wie nennt man eine Kindererziehung hin zum Rechtsradikalismus?
Der Vater rechtsradikal (Publizist Günther Deschner), der Ehemann rechtsradikal, die Kandidatin rechtsradikal, das Kind ebenfalls. Irmhild Boßdorf, stellvertretende Sprecherin der AfD im Rhein-Sieg-Kreis, jüngst auf Platz der AfD-Liste zur Europawahl gewählt und fest verankert im dumpfen Milieu des Rechtsradikalismus und -extremismus (Identitaere Bewegung, Gruppe 120 db u.a.), ist um bedeutungsschwangere Worte nicht verlegen. Ihre persönlichen Gründe für die Mitgliedschaft in der AfD: “Meine fünf Kinder und meine Enkelkinder.”
Gehen wir der Sache mit den Kindern einmal exemplarisch nach.
Die eigenen Kinder zu Kronzeugen in einem radikalen politischen Milieu zu machen, ist eine intellektuelle Sonderleistung. Boßdorf unterfüttert sie mit Äußerungen wie der “gezielten Zerstörung kindlicher Identität” (Anm.: in unserer Gesellschaft), einer “Entfremdung von den Eltern”, der “Förderung der Geschlechtsangleichung durch die Pharmaindustrie”, und mit dem Hinweis auf das “familienpolitische Vorbild Ungarn”.
Radikalität zeichnet sich aus durch ein rigoroses Denk- und Verhaltensmuster, das gegebenenfalls in Gewalt mündet; Attributierungen wie bedenken- und gewissenlos, hemmungslos, extrem und ideologisch sind diesem Muster immanent. Letztlich ist das (politische) Ziel die grundlegende Veränderung der herrschenden Gesellschaftsordnung, hier: unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Freiheit und Demokratie sollen ausgehebelt werden.
Wollen Sie Ihre Kinder so erziehen? Verstehen Sie das unter “Kultur” und “Heimat”?
Boßdorf wird nicht müde, gegen Transition zu agitieren, sie unterminiere unser Gesellschaftssystem. Die betroffenen Kinder würden auf diese Weise ihren Eltern entfremdet. Aber ist das die Realität?
Im Jahr 2022 gab es 2.600 operative Geschlechtsumwandlungen in Deutschland, bei 84,3 Millionen Bürgern. Das Durchschnittsalter lag zwischen 20 und 30 Jahren (keine Kinder), knapp 7 % waren zwischen 15 und 19 Jahren alt. Den Eingriff haben Männer und männliche Jugendliche den Umfragen zufolge nicht bereut, Frauen und weibliche Jugendliche zwischen 1 und 1,5 %. 4,6 Personen von 100.00 bezeichnen sich als transgeschlechtlich, fühlen sich im falschen Körper. Wer Betroffene persönlich kennt, weiß um ihr Leid, um das seelische Ringen um ihre eigene Identität. Die leicht gestiegenen Zahlen der Eingriffe, häufig auf mediale Berichterstattung zurückgeführt, sind aber wohl eher der gestiegenen Akzeptanz von Menschen mit Transidentität geschuldet.
Statt Mitempfinden ernten die Betroffenen Häme, Abwertung und Diffamierung durch Politiker wie Boßdorf. Hatten wir das nicht schon einmal? Das ist beste Göbbel’sche Tradition.
Und nun soll also Ungarn die familienpolitische Avantgarde und unser Vorbild sein?
Eine jüngeren Analyse der Universität Leipzig zufolge liegt Orban’s Ungarn auf Platz 3 im Ranking des schlechtesten Gelder equality Index unter allen EU-Staaten. Warum?
Ungarn schließt alle unliebsamen Gruppen von familienpolitischen Förderungen aus (Erwerbslose, nicht-Krankenversicherte, Roma, homosexuelle Paare, gering Verdienende u.a.). Spezielle und großzügige Förderung erhalten finanziell bereits besser gestellte Familien (die sich beispielsweise ein Auto oder ein Haus leisten können). Die Charakterisierung dieses Modells als “sozial-chauvinistisch” ist absolut nachvollziehbar. Zumal das wichtigste Ziel der ungarischen Frauen- und Familienpolitik die unbezahlte Reproduktions- und Care-Arbeit von Frauen (Zeugung, Kinderbetreuung, Hausarbeit) und das Geld-verdienen des männlichen Teils der Gesellschaft ist.
Wollen Sie ein derartiges Gesellschaftsmodell? Die AfD, und mit ihr Frau Boßdorf, sollten sich schämen. Schämen dafür, dass sie ihre eigenen Kinder indoktrinieren. Schämen für ihre Lügen, ihre Demagogie und ihre Hetze.