Von Josef Thienen
„Achtuuuuuuung“ brüllt Hirte Schafganz und gibt dem Jupp einen Stoß in den Rücken, dass dieser beinahe seine Freundin Maria mitsamt Kind unter sich begräbt. „Noch mal Glück gehabt, Jupp, wie immer“ denkt Jesus und lächelt. Der Zimmermann Jupp hatte gerade angefangen, mit seiner Axt ein paar Bretter zu spalten, um das Feuer wieder in Gang zu bekommen. Heute Nacht wird es ganz schön kalt in Rhöndorf. Jupp hat aber genau in der Ecke gearbeitet, wo die große Palme steht. Die Palme steht immer neben dem …äh… früher haben wir Stall gesagt. Aber seit Ochs und Esel eher vor als im Stall zu finden sind… also doch Büdchen? Jedenfalls hinter der Kapellentür gleich rechts.
Jupp, den wir hier in der Gegend auch Heiliger Josef nennen, ist ein fleißiger und starker Handwerker. Als er richtig ausholt mit seinem Beil, um auch den dicksten Balken zu spalten, stößt er mit der Axt prompt an die Palme. Die reifen Nüsse fliegen krachend zu Boden und haben ihn beinahe getroffen. „Okeee. Es nex passät“ brummt Jupp, der viele Jahre in Selhof gewohnt hat, in seinen Bart. „Lurens no dem Panz“. Er guckt Maria an und nickt zu dem Holzkasten, in dem ihr Kind liegt. Jesus gähnt – reißt aber dann auch gleich wieder seinen Mund auf. „Dä hätt at wedder Kohldampf“. Kleine Kinder wollen immer nur essen und schlafen. „Wie bei den Schafen“, grinst der Hirte, der früher mal ne Kneipe am Ziepchen hatte. „Schlofe deit hä jo jot“. „Weme dä Pänz de Welle deit“, diesen Satz hat Maria von meiner Selhofer Großmutter Anna.
Hirten, außer unserem, reden eigentlich nicht sehr viel, sagt man, eigentlich gar nicht. Mit wem sollen sie sich denn auch unterhalten? Hast du dich mal mit einem Schaf unterhalten? Hirte Schafganz nickt mim Kopf – hat jetzt schon zwei äh drei Mal gesprochen – Wahnsinn. Aber bei dem ganzen Achtungbrüllen, Rumstoßen und dem vielen Reden hat er wohl das Schäfchenzählen vergessen. Rennt der ganze Haufen ungekämmt und wie wild hinten auf der Wiese rum. Klar, die haben Angst, die Schafe. Hätte ich auch, wenn ein fremder, ungewaschener, vielleicht sogar eingewanderter Wolf auf mich zu käme. Oder ist es der Hund vom Schafganz, der da rum schleicht. Das ist ein Lieber, ein deutscher Hirtenhund. Ihn nennen alle nur Zwick – weil er die Schafe ins Bein zwickt, die etwas lahm daherlatschen.
Mach mal den Himmel an, rechts an dem weißen Stromkästchen. Dann siehst du auch den Engel. Das ist der auf dem Stamm neben der Scheune. Seine Eltern müssen Achtundsechziger sein. Die Mutter hat ihm einen goldenen Umhang genäht, aber kein Pätschwörk. Und ein goldenes Band hat er um die Stirn gebunden. Echt kuul sieht das aus. Und erst, wenn er leise “Hosianna“ ruft, Singen kann man dieses Säuseln ja nicht nennen. Dann lieber „Hare Krischna ohl ju nied“. „Hosianna“ noch mal lauter. Dann machst du am besten das Licht wieder aus. Die Ruferei ist total ätzend: der Jesus wird wach und die armen Einheimischen müssen auch noch den Strom bezahlen.
Die drei Könige sind auch noch nicht da. Ich sag bloß: Morgenland. Das kann dauern. Oder vielleicht doch Österreich? An einer Registrierungskasse im Durchgangslager festgehalten wegen Ladendiebstahl? Ein Schwarzer soll ja auch dabei sein – is klar! Oder die Gäng tschillt hinter der Scheune bis der Stern aufgeht. Aber wenn du andauernd das Licht brennen lässt, können die den Stern nicht sehen. Also mach das Licht aus, wenn du gehst.
Jesus könnt schon wieder ne Flasche vertragen. Die Schafe müssen ihre Haare noch waschen. Der Hirtenhund zwickt den Wolf im Schafanzug. Mutter tröstet ihren deutschen Engel.
Und das alles mitten auf der Straße in Rhöndorf. Hinter der Türe rechts.