Bad Honnef – Digital ist Deutschland mangelhaft aufgestellt. Auch die Geschäftswelt hat viele Jahre geschlafen und hoffte wohl, sie könnte ohne Websites, Apps und Socialmedia-Marketing die Verödung der Innenstädte verhindern. Da lagen die meisten Geschäftsleute daneben.
Die Kommunen machten es bei der digitalen Entwicklung nicht besser. Bad Honnef versuchte es vor vier Jahren dann mit der Verkaufs- und Lieferplattform „Kiezkaufhaus“. Möglich wurde das Projekt durch eine NRW-Förderung: 100.000 EUR kamen vom Land, 100.000 EUR vom Bad Honnefer Steuerzahler. Der Rat nickte den Beschluss ab.
Seit 2020 ging das Modellprojekt in den Regelbetrieb über. Mindestens 160 Händler waren als Anbieter auf der Plattform kalkuliert. Diese Zahl wurde nicht annähernd erreicht. Heute sind auf der Website 31. Teilnehmer gelistet, auch Anbieter aus Neuwied und Unkel sind darunter und solche, die es gar nicht mehr gibt. „Das Portal wird heute abgestellt“, teilte Bürgermeister Otto Neuhoff heute im Rahmen einer Pressekonferenz im Rathaus mit. Für ihn sei das Kiezkaufhaus ein Erfolg.
Was es die Steuerzahler bisher insgesamt gekostet hat, wie hoch die Umsätze sind, wie hoch Gewinn und Verlust, was die Händler in die Stadtkasse gezahlt haben, konnten heute weder Bürgermeister Otto Neuhoff mitteilen noch Wirtschaftsförderin Johanna Hoegner. Immerhin nannte Hoegner eine „mittlere dreistellige Zahl“ als Kennziffer für die Kunden, die über kiezkaufhaus-badhonnef.de etwas bestellt hätten.
Ohne eine digitale Verkaufs- und Lieferplattform muss Bad Honnef auch in der Zukunft nicht auskommen. Mit dem Rhein-Kaufhaus ist ein neues Onlineportal schon vorbereitet und ab dem 11. Juli aufrufbar. Mit im Boot sind jetzt der Einzelhandelsverband Bonn-Rhein-Sieg-Euskirchen, die IHK Bonn/Rhein-Sieg und das Frauenhofer Institut für Materialfluss und Logistik in Dortmund.
Wie schon vor vier Jahren geht es um die Entwicklung des E-Commerce in den Kommunen, umweltschonende Lieferung und Information über Angebote in vielen Bereichen. Da hätte Bad Honnef eine Vorreiterrolle gespielt, betonte der Vorsitzende des Einzelhandelsverband Bonn Rhein-Sieg Euskirchen e.V., Jannis Ch. Vassiliou. Seit drei Jahren würde sich sein Verband Gedanken über eine digitale Infrastruktur machen, nun sei der Startschuss gefallen. Und Otto Neuhoff sprach zwar von ups and downs beim Kiezkaufhaus in den letzten vier Jahren, nun wolle er aber die Zukunft im Mittelpunkt sehen, denn ihm liege am Herzen, dass die Innenstädte als vitale Zentren erhalten bleiben. In der Partnerschaft mit dem Einzelhandelsverband würden Kunden nicht nur in Bad Honnef, sondern „idealerweise“ auch in vielen Städten der Region an ihre Innenstadt gebunden.
Für Till Bornstedt von der IHK ist die Skalierbarkeit das Besondere am Rhein-Kaufhaus, „das aus der Region für die Region kommt und somit von möglichst vielen Geschäften und einer großen Kundschaft genutzt werden könnte“. Dr. Christoph Vornholt vom Fraunhofer Institut sieht den besonderen Charme bei dem neuen Onlineangebot in der räumlichen Nähe, der Möglichkeit des persönlichen Kontakts zum Geschäft und zum Lieferpersonal und zum Transport per Lastenrad. Das Institut bringt sich mit dem Konzept „LOUISE Logistik und innovative Services für urbane Regionen“ ein und sorgt mit einer Partnerfirma für die technische Umsetzung, um „moderne Logistikdienstleistungen auf der Seite des Gewerbes und des Handels sowie digitale Lösungen für den stationären Handel miteinander in einem Modell“ zu verbinden und weiterzuentwickeln.
Elfi Thudt, Inhaberin eines Fachgeschäfts für maritime Feinkost, profitiert nach eigener Aussage schon lange vom Angebot des Kiezkaufhauses. Für sie sei das Rhein-Kaufhaus genau das Richtige, da es nicht nur die Logistik, sondern auch das digitales Schaufenster an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr sei.
Auf die Frage, wie das neue Projekt finanziert werde, sagte Jannis Ch. Vassiliou, dass sich alle im Einzelhandelsverband Bonn Rhein-Sieg Euskirchen e.V. vertretenen Geschäfte daran beteiligen werden und es somit für Bad Honnef günstiger werde. Natürlich müssten sich auch die Händler und Dienstleister finanziell beteiligen, wenn sie mit auf die Plattform wollten. Ja, man wolle wegen der Pionierarbeit sogar weitere Zahlungen an Bad Honnef leisten. Beträge wurden nicht genannt. Es werde eine Steuerungsgesellschaft geben und einen weiteren Mitarbeiter als Bindeglied zwischen Unternehmen und Portal.
Auf eine aktuelle Marktuntersuchung wurde bislang verzichtet. Hier würde man auf die Daten zurückgreifen, die man vor dem Start des Kiezkaufhauses erhoben habe, sagte Otto Neuhoff.
Abschließend zog Neuhoff noch ein Resümee: Das Kiezkaufhaus sei ein Erfolg. Was – subjektiv empfunden – schon ein bisschen trotzig klang. Leben geht weiter.