Organpräparate von Gefangenen des KZ Buchenwald werden gezeigt, 27. Mai 1945 | Quelle: Courtesy of National Archives and Records Administration, College Park/Wikipedia

LVR und Rhein-Sieg-Kreis legen Publikation zu nationalsozialistischen Medizinverbrechen vor

Rhein-Sieg-Kreis (ps) – Aus Zahlen werden Schicksale. „Wir möchten den Opfern Namen und Gesicht und damit ihre Würde zurückgeben.“ Diese Absicht war der Motor für eine erfolgreiche Kooperation zwischen dem Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) und dem Rhein-Sieg-Kreis, aus der jetzt eine Publikation hervorging: Erstmals wurden die NS-Medizinverbrechen auf dem Gebiet des alten Siegkreises und Bonn-Land erforscht.

Über 200.000 Menschen starben durch die nationalsozialistische „Euthanasie“. Die Zahl jener, die durch Zwangssterilisierungen oder unmenschliche Experimente in den Konzentrationslagern und anderen Einrichtungen psychische und physische Schäden erlitten, ist noch viel höher. Häufig bleiben die Namen und das Leid der Opfer anonym, die Verbrechen unkonkret.

An Rhein und Sieg erforschte das Projektteam von Dr. Helmut Rönz mit Autor Dr. Ansgar Klein am LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte die Einzel-schicksale und das verbrecherische System vor Ort. Denn auch auf lokaler und regionaler Ebene waren kommunale und staatliche Verwaltungen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten in die Verbrechen verstrickt. In Kenntnis dessen und wegen der Verantwortung des Rhein-Sieg-Kreises als Nachfolger der Gesundheitsbehörden des seinerzeitigen Siegkreises und des Landkreises Bonn hatte der Kreistag im Jahr 2015 auf den gemeinsamen Antrag von CDU, SPD, Bündnis 90/ DIE GRÜNEN und FDP hin beschlossen, die NS-Medizinverbrechen im Bereich des heutigen Rhein-Sieg-Kreises erforschen und dokumentieren zu lassen.

Hierauf verwies Landrat Sebastian Schuster in einem virtuellen Pressegespräch zur Vorstellung der Publikation. Durch diesen Beschluss, die Bereitstellung der entsprechenden Mittel im Haushalt des Kreises sowie durch eine Förderung des LVR sei das Projekt 2017 schließlich gestartet.

Für die Aufarbeitung der zwangsweise durchgeführten Sterilisationen bot die nahezu lückenlose Überlieferung im Archiv des Rhein-Sieg-Kreises beste Voraussetzungen, hat Historiker Dr. Ansgar Klein bei seinen Recherchen festgestellt. Bei der staatlich legitimierten und geförderten Tötung sei die Quellenlage hingegen schwierig. Die Studie beleuchtet aber auch den schwierigen Kampf um Anerkennung und Entschädigung nach 1945. Das Vergessen der Leiden und der Schicksale gehöre, wie auch die schleppende Entnazifizierung der Täterinnen und Täter, auch zu der zu erzählenden Geschichte. Das sei man den Opfern schuldig.

LVR-Institutsleiterin Dr. Dagmar Hänel unterstrich die Bedeutung der Pionierstudie für unsere Gegenwart, in denen Begriffe wie „behindert“ und „Spasti“ noch immer zum Schimpfwortkanon unserer Gesellschaft zählen.

Das Buch „Euthanasie“, Zwangssterilisationen, Humanexperimente. NS-Medizinverbrechen an Rhein und Sieg 1933–1945, von Ansgar S. Klein ist im Böhlau Verlag erschienen und kostet 35 Euro. Der Band ist Teil der Reihe „Stadt und Gesellschaft. Studien zur Rheinischen Landesgeschichte“ des LVR-Instituts für Landeskunde und Regionalgeschichte.

 

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