Bad Honnef. Der Rat hat letzte Woche über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens abgestimmt: Einstimmig dafür. Allerdings entschied er nicht, ob er auch inhaltlich dem Begehren entspricht: also den Aufstellungsbeschluss „Bebauungsplan Nr. 1-144/Neues Wohnen Alexander-von-Humboldt-Str./Am Spitzenbach/B42Beschluss des Bebauungsplans 1-144“ zurücknimmt.
Nun ist ein Streit über die Drei-Monats-Frist entbrannt. Innerhalb dieser Frist muss ein möglicher Bürgerentscheid stattgefunden haben. Die Bürgerinitiative vertritt die Auffassung, der Beginn der Frist habe bereits mit dem Beschluss der Zulässigkeit des Begehrens durch den Rat eingesetzt. Für die Stadt beginnt die Drei-Monats-Frist erst mit dem Beschluss über den Inhalt des Begehrens. Der wurde allerdings noch nicht gefasst. Was nach Auffassung von „Mehr Demokratie“ ein Sonderfall sei. Üblicherweise würde die Entscheidungen über Zulässigkeit und Inhalt eines Bürgerbegehrens in einer Ratssitzung getroffen, teilte Pressesprecher Thorsten Sterk mit. Allerdings teilt er die Rechtsauffassung der Stadt.
In der Gemeindeordnung steht unter §26.6: Der Rat stellt unverzüglich fest, ob das Bürgerbegehren zulässig ist. Gegen die ablehnende Entscheidung des Rates können nur die Vertreter des Bürgerbegehrens nach Absatz 2 Satz 2 einen Rechtsbehelf einlegen. Entspricht der Rat dem zulässigen Bürgerbegehren nicht, so ist innerhalb von drei Monaten ein Bürgerentscheid durchzuführen. Entspricht der Rat dem Bürgerbegehren, so unterbleibt der Bürgerentscheid.
Allerdings gibt es ein Urteil des OVG NRW, das besagt, dass allein die Feststellung des Rates, dass ein Bürgerbegehren zulässig ist, den Lauf der Drei-Monats-Frist auslöse (OVG NRW, 20.3.1995; AZ 15 B 546/95).
Warum die Stadt eine Entscheidung über „Zulässigkeit und Inhalt“ voneinander getrennt hat, ist nicht bekannt. Neue Erkenntnisse zum Beschluss, gegen den sich das Bürgerbegehren richtet, dürfte es ja nicht geben.
Wie sich die Bürgerinitiative verhalten wird, ist noch nicht bekannt, auch nicht, ob SPD und Grüne reagieren werden. Ebenfalls muss nach den Folgen gefragt werden, sollte die Drei-Monats-Frist doch schon begonnen haben?
Zu diesem Thema erreichte Honnef heute ein Leserbrief, den wir hier in voller Länge veröffentlichen:
Sehr geehrte Damen und Herren,
Sie berichten heute u. a. darüber, dass es Verunsicherung betreffend der in § 26 Abs. 6 der Gemeindeordnung (GO) geregelten Dreimonatsfrist zur Durchführung eines Bürgerentscheides gebe. Die Stadt habe mitgeteilt, dass man „nach interner juristischer Prüfung nach wie vor“ davon ausgehe, dass diese Frist erst nach dem „inhaltlichen Beschluss zu laufen“ beginne, so stünde es auch in einem Leitfaden namens „Mehr Demokratie“. Damit meint man wohl den Beschluss, mit dem der Rat einem Bürgerbegehren beitreten kann oder nicht (§ 26 Abs. 6 S. 3 GO).
Ich möchte Ihre Berichterstattung zu dieser Frage zum Anlass für einen Leserbrief aus zwar fachlich-juristisch gefärbter, vor allem aber aus staatsbürgerlicher Sicht nehmen.
1.
Rechtlicher Ausgangspunkt ist zunächst folgendes: § 26 Abs. 6 S. 1 GO bestimmt, dass der Rat unverzüglich festzustellen hat, ob das durchgeführte Bürgerbegehren zulässig ist. Genau diese formale Feststellung ist in der letzten Ratssitzung getroffen worden. Richtig ist weiter, dass § 26 Abs. 6 S. 3 GO bestimmt, dass, falls der Rat dem zulässigen Bürgerbegehren nicht entspricht, innerhalb von drei Monaten ein Bürgerentscheid durchzuführen ist. Damit scheint es mir aber schon dem Wortlaut nach doch sehr naheliegend, dass der Ausgangspunkt der Dreimonatsfrist gerade das „zulässige“ Bürgerbegehren ist; und eben genau diese „Zulässigkeit“ ist Gegenstand der Ratsfeststellung nach § 26 Abs. 6 S. 1 GO.
Völlig zu Recht weisen Sie in Ihrer Berichterstattung daher auf die Entscheidung des OVG Münster vom 20.03.1995 – 15 B 546/95 hin, die immerhin im amtlichen Leitsatz genau diese Bedeutung (schon) der Zulässigkeitsfeststellung – und eben nicht irgendeiner „Beitrittsentscheidung“ des Rates – festgestellt hat. Ganz ähnlich hat sich das OVG Münster im Übrigen auch im Jahre 2001 geäußert und ausgeführt, dass § 26 Abs. 6 S. 3 GO einen Anspruch auf Durchführung des Bürgerentscheids binnen dreier Monate nach dem Ratsbeschluss, der das Bürgerbegehren für zulässig erklärt, gewährt. Auch hier stellt das OVG klar auf den – in der Terminologie der Stadt – „Zulässigkeitsbeschluss“ ab, nicht etwa auf den von der Stadt sog. „inhaltlichen Beschluss“. Ganz ähnlich hat das OVG auch erneut im Jahre 2004 entschieden. Nur am Rande: Auch nach den entsprechenden Kommentierungen zur Gemeindeordnung läuft die Dreimonatsfrist ab der Entscheidung des Rates über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens.
Was die Stadt wohl missversteht: Nach § 26 Abs. 6 S. 3 GO unterbleibt die Durchführung des Bürgerentscheides nur dann, wenn der Rat binnen drei Monaten dem zulässigen Begehren – was er unverzüglich festzustellen hat – entspricht. Der Rat kann dem Begehren also in der laufenden Frist beitreten, muss es aber nicht. Durch den rechtzeitigen Beitritt kann der Rat den Bürgerentscheid abwenden; er unterbleibt dann (§ 26 Abs. 6 S. 4 GO). Mit dem Beginn oder Lauf der Frist hat das nichts zu tun.
Nach der gegenteiligen Auffassung der Stadt besteht zwar eine Verpflichtung, die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens unverzüglich festzustellen. Anschließend soll es aber – ohne dass insoweit eine Frist läuft – der Rat allein in der Hand haben, die Dreimonatsfrist für den durchzuführenden Bürgerentscheid durch seinen „Nichtbeitritt“ auszulösen. Das dürfte dem von engen Fristen geprägten System von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid sehr deutlich widersprechen.
2.
Diese vielleicht etwas komplexen Fragen verstellen aber – und das ist der viel wichtigere Punkt – den Blick auf ein viel grundlegenderes Problem.
Ganz unabhängig von der inhaltlichen Fragestellung des Bürgerbegehrens ist es mir unerklärlich, wie eine Stadtverwaltung auf eine derart, so scheint es mir, hemdsärmelige Weise rechtliche und fachliche Fragen von erheblicher Tragweite behandeln und auf dieser Grundlage agieren kann. Das Thema „Bürgerbegehren“ ist nicht neu; die sich stellenden Fragen waren und sind bekannt und zeichneten sich ab. Das gilt erst Recht für das einzuhaltende, gesetzlich vorgeschriebene Verfahren. Man dürfte erwarten, dass hier frühzeitig Klarheit und Sicherheit im Handeln geschaffen werden.
Stattdessen hat sich die Verwaltung für ein Vorgehen entschieden, das auf keiner wirklich festen Grundlage zu stehen scheint. Bezogen wird sich dabei – man staunt – auf einen obskuren „Leitfaden Mehr Demokratie“ aus dem Jahre 2013. Das ist, jedenfalls nach meinem Verständnis, keine Grundlage für Verwaltungshandeln. Im Rechtsstaat unterliegt die Verwaltung der Bindung an Recht und Gesetz, nicht an „Leitfäden“. Nicht nur das Ergebnis, auch die Wahl der Mittel lässt einen erstaunt zurück.
Bedauerlich ist dies auch aus einem anderen Grund: Allenthalben wird von „Politikverdrossenheit“ gesprochen. Eine Verwaltung, die den Bürgern in den letzten Jahren durchaus viel zumutet, dann in einer offensichtlich emotional diskutierten und hochpolitischen Frage derart unglücklich und unprofessionell agiert, schürt genau die Verdrossenheit, die sie allsonntäglich beklagt. Zu Recht erwarten die Bürger von ihrer Stadt und ihrer Verwaltung – die sie über Steuern und Abgaben durchaus teuer bezahlen – ein fachlich korrektes, professionelles Vorgehen.
Wenn der Verwaltung jetzt teilweise „Tricksereien“ vorgeworfen werden, zeigt dies nur, wie wenig glücklich die Verwaltung agiert hat und wie viel Vertrauen – immerhin das Kapital in der Politik – verloren gegangen ist.
Und man darf – hier schließt sich der Kreis zu den rechtlichen Fragen – eines nicht übersehen: Nach der Rechtsprechung des OVG Münster besteht der Anspruch auf Durchführung des Bürgerentscheides nach erfolgreichen (d. h. zulässigem) Bürgerbegehren eben nur für die Dreimonatsfrist. Läuft diese Frist ab, ohne dass die Vertreter des Bürgerbegehrens ihren Anspruch auf Durchführung des Bürgerentscheids binnen dieser Frist zumindest bei der Gemeinde erhoben und bei Erfolglosigkeit ihres Verlangens sodann gerichtlich geltend gemacht haben, kann dieser Anspruch nicht mehr erfüllt werden. Denn einen nach der Dreimonatsfrist erhobenen Anspruch auf Durchführung des Bürgerentscheids gewährt das Gesetz nicht.
Man stelle sich einmal vor, der Verwaltung wäre diese Rechtsprechung dreieinhalb, vier oder fünf Monate nach dem Zulässigkeitsbeschluss aufgefallen, nachdem die Vertreter des Bürgerbegehrens mit diversen Argumenten bis dahin vertröstet wurden – denn nach Auffassung der Stadt ist sie in ihrer Zeitplanung zum angeblichen „inhaltlichen Beschluss“ ja frei. Böse Zungen würden allerdings sagen: Unerwünschtes kann man auch gezielt ins Leere laufen lassen.
Wenig glücklich – und in der Gesamtschau mit dem eben Ausgeführten geradezu erschreckend – ist für mich schließlich der Umstand, dass die Stadt ihre wohl nicht tragfähige Auffassung mit dem Erfordernis begründet, man müsse die städtische Satzung zur Durchführung von Bürgerentscheiden erst überarbeiten. Um es ganz deutlich zu sagen: Im Angesicht eines offensichtlich zulässigen, mithin erfolgreichen Bürgerbegehrens, welches im Falle des Nichtbeitritt des Rates zu einem Bürgerentscheid führen muss, möchte die Stadt zunächst einmal die Regeln für die Durchführung von Bürgerentscheiden anpassen. Das wäre – grob gesagt – so, als würde man in der zweiten Halbzeit die Regeln des laufenden Spiels verändern.
Ich räume ein, dass dieses Beispiel, wie viele, natürlich hinkt. Und ich kann und mag nicht beurteilen, ob die angedachten Änderungen nicht vielleicht sogar sachlich sinnvoll oder jedenfalls begründbar sind. Aber auch hier wieder: Die Verwaltung handelt ohne jedes politische – und meiner Meinung nach auch rechtsstaatliche – Gespür auf hemdsärmelige Art und Weise.
An anderer Stelle habe ich schon einmal gesagt: Ein Beobachter an der Seitenlinie bleibt angesichts all dessen nur erstaunt zurück und fragt sich, ob Bad Honnef nur mehr eine Bananenrepublik am Rhein ist.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Geißler, Aegidienberg